Kunst am Bau für das Foyer des Thünen-Institut am Standort Bremerhaven Bundesforschungsinstitut für Seefischerei und Fischereiökologie

 

Betritt man das Foyer des Thünen-Instituts in Bremerhaven, fallen die silbern-glänzenden Objekte, welche die Wände in luftiger Konstellation bespielen, direkt ins Auge. Es handelt sich um Konglomerate von Strukturen und Oberflächen in verschiedenen Größen. Einerseits erscheinen sie in ihren rund geformten Umrissen wie medaillonartige Reliefs, andererseits erinnern sie aufgrund ihrer in den Raum ragenden plastischen Oberfläche an felsige Gesteinsformationen. In der Dunkelheit beginnen ihre Konturen in intensivem Grün oder Blau geheimnisvoll zu leuchten.


Gabriele Obermaier hat den Wettbewerb Kunst am Bau für das Foyer des Thünen-Instituts 2017 gewonnen. Der Neubau für die Fachinstitute Seefischerei und Fischereiökologie vereint Labor und Büros und wurde im Sommer 2018 eröffnet. Das Thünen-Institut am Standort Bremerhaven ist ein Forschungsinstitut des Bundes und berät die Bundesregierung als Expertengremium in Hinblick auf Konzepte für eine nachhaltige und zugleich wettbewerbsfähige Nutzung der natürlichen Ressource Meer.


Architektonisch betrachtet ist das Foyer ein reduzierter Eingangsraum, der durch zwei verglaste Fronten viel Licht ins Innere lässt. Der Raum bietet den Hereinkommenden zwei Bewegungsrichtungen an. Zum einen führt ein großer Durchgang geradeaus weiter in das Innere des Instituts, zur Fischzucht, zum anderen ermöglicht eine Treppe entlang der linken Wand den Aufstieg in das Obergeschoss. Der hohe Raum wirkt kühl und leicht, da die Wände mit ihren Öffnungen kaum Lasten zu tragen scheinen. Die herausfordernde Aufgabe des Wettbewerbs bestand darin, eine künstlerische Arbeit zu entwickeln, die sowohl mit der architektonischen Situation dieser Empfangshalle als auch mit dem großen Wissenschaftsthema Meer korrespondiert.


Gabriele Obermaier entschied sich das Foyer von den Wänden ausgehend zu bearbeiten, um nicht die freien Blick-und Bewegungsrichtungen zu beeinträchtigen. Die künstlerische Arbeit sollte auch in der Materialwahl mit den formalen und konzeptuellen Parametern des Ortes zusammenklingen: Die Eintretenden sollten sich mit dem faszinierendem Forschungsgegenstand des Instituts konfrontiert sehen. Denn die vermeintlich total durchforschte Welt bleibt zu einem Großteil für die menschlichen Augen unsichtbar. Die Reliefs sollten in fremd-vertrauter Gestalt ein Bewusstseinsmoment für dieses Unbekannte zum Aufscheinen bringen.


Bei ihren Recherchen über den Lebensraum Meer interessierte sich die Künstlerin besonders für das Unerforschte: die Tiefsee. Rund 70 Prozent der gesamten Erdoberfläche sind durchschnittlich 3600 Metern tief unter Wasser und deshalb auch modernsten Forschungsmethoden schwer zugänglich. Dorthin gelangt kein Sonnenlicht; die Temperaturen sind eiskalt; es herrscht großer Druck. Dennoch entwickeln sich hier Lebewesen, die mit erstaunlichen Methoden ihr Überleben sichern. Gabriele Obermaier entwickelt ihr Konzept anhand einiger dieser biologisch erforschten Strategien des Lebens von Meerestieren in ihrer Umwelt in und am Wasser. Dazu zählen das Tarnen und Verstecken genauso wie das Täuschen und Locken mittels Biolumineszenz, der Fähigkeit selbst Licht zu erzeugen. Die Künstlerin modelliert Formationen, die wie reale Abdrücke von geologischen oder biogenen Materialien anmuten. Die insgesamt neun annähernd runden Cluster sind unterschiedlich groß und erinnern an gepressten Sand, erkaltende Lavaströme, Muschel- und Korallenbänke, Steinsedimente oder Wattwurmhügel. Derartige Strukturen ermöglichen es den Tieren von der Oberfläche zu verschwinden um sich zu schützen.


Die Objekte werden in Aluminium gegossen, wodurch eine silbern-glänzende Oberfläche entsteht. Auf das geheimnisvoll-verborgene Leben in diesen schillernden Strukturen weisen die mit nachleuchtender Farbe getönten Flächen in der Tiefe der Oberflächen und im Randbereich der Reliefs hin. Die Objekte werden mit etwa 3 cm Abstand an den Wänden und Friesen angebracht, so dass die farbigen Konturen und Zeichnungen wie Aureolen wirken. Bei plötzlich eintretender Dunkelheit wird die Farbwirkung intensiv, es entsteht ein unwirkliches Leuchten in grüner und blauer Tönung. Für etwa eine halbe Stunde ist dieses Schauspiel als Nachleuchten zu bestaunen. Bemerkenswert ist die wechselseitige Abhängigkeit von Licht und Dunkelheit, denn ohne Licht käme es zu keiner Aufladung der Farbe mittels der auf eine höheres Energieniveau gehobenen Elektronen in den Anregungszentren, ohne Dunkelheit wiederum gäbe es keine sichtbare Wirkung des farbigen Leuchtens als einen Entladevorgang der in ihren Grundzustand zurückfallenden Elektronen. Metaphorisch betrachtet ist das magische Scheinen des Unbekannten also existenziell mit dem Licht des Faktischen verbunden.


Die Strukturen sind erstaunlich filigran und naturalistisch herausgearbeitet. Gabriele Obermaier hat mit unterschiedlichen plastischen Materialien und Vorgangsweisen experimentiert, um die jeweilige gewünschte Wirkung möglichst exakt zu erzielen. Die Betrachter*innen werden an der Frage nicht vorbeikommen, ob diese Objekte durch Menschenhand plastisch hergestellt wurden, oder ob es sich um eine besondere Art von Readymades aus der Natur handelt, die als Abdrücke wie Fossilien von echter Realität zeugen.


Diese Unbestimmbarkeit scheint die Künstlerin anzuvisieren - birgt sie doch elementare Fragen der Kunst. Inwieweit kann der Mensch den Ursprung berühren, wenn dieser für ihn unsichtbar bleibt? Das Christentum beispielsweise sah sich fortwährend mit diesem Thema in Hinblick auf die Darstellbarkeit Gottes konfrontiert. Es hat sich durch das Bilderverbot zu läutern versucht, welches es allerdings immer wieder aufweichte und umging. Dies belegt die Kirchen- und Kunstgeschichte. Das Schweißtuch der Veronika war als realer Abdruck des Antlitzes Jesu nicht nur eine kostbare Reliquie, es wurde auch für die Malerei zu einem Sujet, das die Darstellung des Gottessohnes als wahres Abbild (vera icon) legitimierte.


Auch Paul Valéry kommt in seinem Dialog Eupalinos oder der Architekt auf jene Unbestimmbarkeit zu sprechen: Sokrates und Phaidros treffen im Hades aufeinander. Befreit von der Last der Körper bleibt die eigentlich zu erwartende Glückseligkeit in der Welt der Seelen aus. In ihrem Gespräch wird klar, dass nur die menschliche Endlichkeit Freude zu empfinden ermöglicht, und zwar Freude angesichts der Erscheinungen, die in ihrer Gestalt »ambigu«, zweideutig oder eben unbestimmbar bleiben. Als Exempel dient ein handgroßes Objekt aus dem Meer, dessen Gestalt Rätsel aufgibt. Hat es das Meer und die Witterung geformt oder war es eine Menschenhand? Für Paul Valéry ist der Gedanke entscheidend, dass Objekte der Natur und Kunst in einer analogen Weise zu betrachten sind: nicht in Hinblick auf den Ursprung und das sinnhafte Ziel ihrer Schöpfung, sondern in Hinblick auf das Zustandekommen ihres vielgesichtigen Erscheinens.


Durch ihre Befestigung an verschiedenen Wänden und Höhen treten die Reliefs miteinander in Korrespondenz und beziehen auch die möglichen Blick- und Bewegungsrichtungen der Menschen im Foyer mit ein. Je nach dem, an welchem Punkt im Raum man sich befindet, gerät ein anderes Relief bzw. eine andere Reliefkonstellation in den Fokus. Ganz bewusst verzichtet Gabriele Obermaier dabei auf konkrete Titel für die einzelnen Teile der Serie, die sie UWO (Unterwasserobjekte) nennt und von 1 bis 9 durchnummeriert. Es geht der Künstlerin nicht um ein Wiedererkennen oder Zuordnen der dargestellten Strukturen. Vielmehr soll das Unvermutete und Verborgene im Staunen sinnlich gegenwärtig und ästhetisch erfahrbar werden – ein feinsinniger Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Kunst.